My Sunshine

06.02.2025

My Sunshine

Die Ausgangslage erinnert an jene des Films (bzw. der Musical-Inszenierungen) von Billy Elliot. Billy will nicht boxen und stattdessen Balletttänzer werden. Takuya kann sich weder mit dem im Sommer gespielten Baseball noch als Torhüter im Eishockey, das im Winter dominiert, anfreunden. Er schaut fasziniert zu, wie die Mädchen über die Eisfläche gleiten, Pirouetten üben und für den Eiskunstlauf trainieren.

Im Gegensatz zu Billy, der mit der rauen Mentalität der englischen Bergbauregion und einem hartherzigen Vater konfrontiert ist, hat Takuya auf der japanischen Insel verständnisvolle Eltern, die ihm die Wahl lassen, jenen Sport auszuüben, der ihm entspricht. Beim Erlernen des Eiskunstlaufs nimmt ihn Arakawa, ein aus Tokio hergezogener Coach und früher bekannter Eiskunstläufer, unter seine Fittiche. Dieser hat dann auch die Idee, Takuya mit dem Mädchen Sakura zusammenzubringen und die beiden als tanzendes Paar im Hinblick auf einen Wettbewerb im Eiskunstlauf zu fördern. Ob und wie weit dies gelingt, soll hier offen bleiben.

Technisch ist der Film eher einfach gestrickt und bringt keine grossen Überraschungen. Das klassische Bildformat 4:3, inszeniert als zum Teil längere Einstellungen mit wenig Dialog, erinnert dann und wann eher an eine Diashow. Allerdings sind die Bilder kräftig. Der Regisseur hat denn auch einmal gemeint, er habe gelernt, «dass das Kino nicht durch Dialoge, sondern durch Bilder vermittelt» werde. Der junge Regisseur Hiroshi Okuyama (geb. 1996 in Tokio), hat in «My Sunshine» − wie schon in seinem Erstlingswerk «Jesus» (2018) − «Gerüche aus seiner Kindheit» in den Film einfliessen lassen, um den Zuschauenden «die Gefühle seiner Kindheit als einen Schatz für die Gegenwart» zu entfalten. Okuyama führt nicht nur Regie seiner Werke, sondern figuriert auch als Drehbuchautor, Kameramann und Cutter. «My Sunshine» wurde 2024 bei den Filmfestspielen von Cannes präsentiert.

Berührend ist, wie Arakawa als Coach die beiden Kinder unterrichtet – so wie man sich eine Lehrperson wünscht: fordernd, aber vor allem motivierend, einfühlsam, sanft und mit der nötigen Distanz, ein Mentor im besten Sinne des Wortes. Schön eingefangen ist auch das Innenleben der beiden Kinder: Irgendwo sind und bleiben sie einsam, bei sich, und doch sind sie fasziniert voneinander, suchen die Nähe zueinander und wagen es, sich mit der Zeit für den Paartanz zu berühren. Eindrücklich dargestellt ist auch die Gegenläufigkeit der Aktivitäten und der Natur: im tief verschneiten Winter sucht Takuya die eleganten Bewegungen auf dem Eis, als der Schnee weg ist stellen sich demgegenüber Momente der Distanzierung zwischen den Akteuren ein, brechen Harmonien auf und nehmen Gefühle von Überforderung und Neid Raum ein.

Ein spannendes Thema des Films, das wohl spezifisch für Japan ist, wird erst im Verlaufe des Abspanns entfaltet. Wir hören dort den japanischen Song «My Sunshine» von Humbert Humbert. Das Lied handelt davon, wie schwierig es ist, Gefühle auszudrücken, wie die richtigen Worte im Hals steckenbleiben können und manchmal nur stotternd zum Vorschein kommen (auch Takuya stottert übrigens, wird deshalb auch Tada gerufen, ohne aber in der Schulklasse deswegen blossgestellt zu werden). Hiroshi Okuyama hat ausgeführt, es sei gerade jener Song gewesen, der ihn dazu geführt habe, den Film in Angriff zu nehmen und die Geschichte, die er in sich trug, umzusetzen.

Hermann Kocher

Regie: Hiroshi Okuyama
Japan/Frankreich 2024; 90 Min.
Cast: Sōsuke Ikematsu (Arakawa), Keitatsu Koshiyama (Takuya), Kiara Nakanishi (Sakura)
Verleih: First Hand Films

Trailer:  https://www.youtube.com/watch?v=XufDJxhN9kg&ab_channel=PanapMedia

Im Kino ab 6. Februar 2024