Preisträger 2023

Preisträger 2023

19. Festival du Film Français d'Helvétie Biel, 13. - 17. September 2023

Die Jury von Interfilm Schweiz vergibt den mit Fr. 2'500.- ausgestatteten Prix Célestine 2023 an den Film "Rosalie" de Stéphanie Di Giusto, France/Belgique 2023, 115’

Rosalie lebt um 1870 in Frankreich und ist seit ihrer Geburt stark behaart. Nach ihrer Heirat mit Abel will sie ihre Andersartigkeit nicht länger verbergen. Der Film zeigt den Weg von Rosalie im Widerstand gegen die von der Gesellschaft vorgegebenen Geschlechterrollen zu ihrem Selbstbewusstsein als Frau, die zu ihrem Bartwuchs steht.

Die Jury lobt die eindrückliche Bildsprache und die durchdachte Symbolik des Films, der gleichzeitig fasziniert und befremdet. Berührend wird die Lebensgeschichte der Rosalie ausserdem durch die brillante Darstellung von Nadia Treszkiewicz in der Hauptrolle und die sorgfältige Figurenzeichnung allgemein.

Regisseurin Stéphanie Di Giusto versteht es, den in der Geschichte angelegten Gegensatz von Anziehung und Abstossung bildlich umzusetzen, z.B. durch Gegensätze wie Opulenz und Kargheit, hell und dunkel, Natur und Kultur, innen und aussen. Die Geschichte regt zudem an, über Genderfragen und gesellschaftliche Ausgrenzung nachzudenken.

Mitglieder der Jury:

  • Stefan Affolter
  • Simon Eggimann
  • Pascale Huber (Präsidentin)
  • Claude Rossi

 

 

76. Film Festival Locarno, 2. - 12. August 2023

Beim 76. Locarno Film Festival (2. - 12. August 2023) verleiht die von INTERFILM und SIGNIS berufene Ökumenische Jury ihren Preis an Patagonia von Simone Bozzelli (Italien 2023) und eine Lobende Erwähnung an Nu aștepta prea mult de la sfârșitul lumii (Do Not Expect Too Much of the End of the World), von Radu Jude (Rumänien, Luxemburg, Frankreich 2023). Der Preis der Jury ist mit 10.000 CHF dotiert, gestiftet von den Reformierten Kirchen und der Katholischen Kirche der Schweiz.

Patagonia
Regie: Simone Bozzelli, Italien 2023

Yuri ist zwanzig Jahre alt und lebt gemütlich mit seiner betagten Tante in einem kleinen Dorf in den Abruzzen, das für ihn alles ist, was er von der Welt kennt. An einer Geburtstagsfeier lernt er den Unterhaltungskünstler und Kinderanimateur Agostino kennen, der Yuri die Freiheit verspricht, von der er gar nicht wusste, dass er sie suchte. Sie träumen von der Freiheit Patagoniens und so begeben sich die beiden auf eine Reise der Selbstvergewisserung, die sich in einen Albtraum der Kontrolle und des Gefangenseins verwandeln wird.

Wo ist der schmale Grat zwischen Abhängigkeit und Freiheit? Wo der zwischen Liebe und Unterwerfung? Zwischen Empathie und Verantwortung? Der verletzliche und behütete Yuri verlässt sein Zuhause, um Agostino zu folgen, einem mysteriösen Künstler voller düsterer Energie. Ihre Beziehung führt beide auf eine gefährliche Reise zu sich selbst. «Patagonia» bewegt sich zwischen Gewalt und Zartheit, Obsessivität und Selbstentdeckung. Der Film entlässt die Zuschauer:innen in einen mehrdeutigen Raum, in dem Verwandlung und Hoffnung möglich sind.

Nu aștepta prea mult de la sfârșitul lumii (Don't Expect Too Much From the End of the World),
Regie: Rado Jude, Rumänien, Frankreich, Kroatien 2023
Eine Geschichte über Kino und Wirtschaft in zwei Teilen: die überarbeitete und unterbezahlte Angela fährt durch Bukarest, um das Casting für ein von einem multinationalen Unternehmen in Auftrag gegebenes Video über "Sicherheit am Arbeitsplatz" zu drehen. Als einer der Interviewpartner über die Schuld des Unternehmens an seinem Unfall spricht, kommt es zu einem Skandal.

Im Mittelpunkt des Films steht die Castingassistentin Angela, die Tag und Nacht für eine Produktionsfirma auf der Suche nach authentischen Akteur:innen für einen Imagefilm durch Bukarest fährt. Dabei nimmt sie aggressiv‐obszöne TikTok‐Videos auf, um ihren Frust zu kanalisieren. Am Ende steht eine Filmproduktion, in der Ausgebeutete für das «Whitewashing» eines westeuropäischen Versicherungskonzerns instrumentalisiert werden. Der Regisseur Radu Jude kombiniert brillant verschiedene Zeitebenen und Medienformate. Die in schwarz‐weiss gedrehten Sequenzen des zentralen Handlungsstrangs werden unterbrochen von einem historischen rumänischen Farbfilm, in dessen Mittelpunkt ebenso eine Taxifahrerin mit ihren existenziellen Fragen steht. Der Film besticht durch konzise Kapitalismuskritik und seinen selbstreflexiven Modus. Die osteuropäischen Protagnist:innen behalten trotz der repressiven Arbeitsbedingungen ihre kulturelle Souveränität.

Mitglieder der Jury:

  • Petra Bahr, Theologin, Bischöfin; Deutschland (Präsidentin)
  • Micah Bucey, Pfarrer, Schauspieler, Dramatiker, Musiker; USA
  • Marie‐Therese Mäder, Medien- und Religionswissenschaftlerin; Schweiz
  • Joachim Valentin, Professor für Fundamentaltheologie und Religionsgeschichte; Deutschland

 

 

54. Visions du Réel Nyon, 21. - 30. April 2023

54. Visions du Réel Nyon, 21. - 30. April 2023

Beim 54. Festival Visions du Réel in Nyon vergibt die von INTERFILM und SIGNIS berufene Interreligiöse Jury ihren Preis an den Film Pure Unknown von Mattia Colombo und Valentina Cicogna (Italien, Schweiz, Schweden 2023). Der Preis ist mit CHF 5.000 dotiert, gestiftet von der Römisch-Katholischen Kirche Schweiz und den Reformierten Kirchen der französischen Schweiz (CER) und ihrem Mediendepartement (Médias-pro), unterstützt von der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz und dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG). 

Pure Unknown
Regie: Valentina Cigogna, Mattia Colombo; Italien, Schweiz, Schweden, 2023

Pure Unknown zeigt die professionelle, empathische und engagierte Arbeit der italienischen Gerichtsmedizinerin Dr. Cristina Cattaneo, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die von der Polizei
aufgefundenen Leichen von "völlig Unbekannten" zu identifizieren. Die Kamera bewegt sich mit Feingefühl und Scham in den Autopsie Sälen und bei den Gesprächen mit den Angehörigen der
Vermissten, wobei sie die tiefe Menschlichkeit hervorhebt, die die Ärztin in ihre Gesten und Worte einfließen lässt. Durch Cristinas Kontakt mit einem Abgeordneten des Europäischen Parlaments
öffnet der Film auf unerwartete Weise den Blick auf das Thema Migration und das damit verbundene Leid. Familien über den Tod ihrer Angehörigen im Mittelmeer zu informieren, ist der letzte Akt des
Respekts, der in einer zerrissenen Welt möglich ist.

Jede Nacht landen namenlose Leichen in der Autopsie von Dr. Cristina Cattaneo. Sie nennt sie "Pure Unknown". Es sind Obdachlose, Prostituierte, durchgebrannte Teenager. In jüngster Zeit sind es vor allem Migranten, die im Mittelmeer Schiffbruch erlitten haben. Wenn alle Rechte den Lebenden gehören, bleibt den Toten nichts. Was geschieht mit den Toten, wenn sie ihre Identität verloren haben? Angesichts dieser ständig wachsenden Zahl von Verstorbenen scheint sich niemand um ihr Recht auf Würde zu kümmern. Keiner ausser Cristina.

Mitglieder der interreligiösen Jury:

  • Alain Nicolas Besson, Pfarrer; Schweiz (Präsident)
  • Linda Dombrovszky, Filmregisseurin; Ungarn
  • Garance Hayat, Filmkritikerin; Frankreich
  • Mohammad Rezaeian, Jurist und Betriebswirt; Iran/Schweiz

 

 

37. Internationales Festival Fribourg, 17 - 26. März 2023

37. Internationales Festival Fribourg, 17 - 26. März 2023

Die von INTERFILM und SIGNIS berufene Ökumenische Jury beim 37. Festival international du Films de Fribourg vergibt ihren mit 5.000 CHF dotierten Preis, gestiftet von der ökumenischen Kampagne HEKS / Brot für alle und der Action de Carême, an den Film „Abang Adik“ von Jin Ong (Malaysia 2023).

Abang Adik
Regie: Jin Ong, Malaysia, 2023

Zwei junge Sans-Papiers versuchen in einer malaysischen Grossstadt zu überleben. Der ältere, taubstumme Abang beschützt und ernährt den jüngeren Adi, der sich stets am Rande der Illegalität bewegt. Wir sind beeindruckt von der leichtfüssigen Erzählweise, dem begeisternden Spiel der Schauspieler:innen, den Bildern voller Wärme, dem gekonnten Einsatz von Ton und Musik: ein Werk wie aus einem Guss. Der Film ist ein Plädoyer für Gerechtigkeit und Menschenwürde, und er zeigt auf universelle Weise gelebte Solidarität unter den Randständigen der Gesellschaft. Die tragische Lebenssituation wird von Liebe und Zärtlichkeit erhellt.

Seit sie Waisen sind, leben Abang und sein Bruder Adi im heutigen Malaysia in der Illegalität. Während der taubstumme ältere Abang sich damit abgefunden hat, will sich Adi nicht in sein Schicksal fügen. Ein brutaler Unfall erschüttert das zerbrechliche Gleichgewicht ihrer Beziehung.

Mitglieder der Jury:

  • Stefan Haupt, Filmregisseur; Schweiz (Präsident)
  • Philippe Cabrol, Lehrer; Frankreich
  • Bernadette Meier, Archivarin; Schweiz
  • Florence de Tienda, Lehrerin; Frankreich