75. Berlinale 2025

von Brigitta Rotach

75. Berlinale 2025

Die Jury mit den Festival-Sonnenbrillen von links: Peter Caccia (Präsident), Christian Olding, Stefanie Schardien, Brigitta Rotach, Juan Carlos Carrillo Cal y Mayor, Valerie de Marnhac

 

 

Als Interfilm-Mitglied an der Berlinale dabei sein zu können, ist ein Privileg und bedeutet eine intensive Jury-Arbeit. 30 Filme galt es, an der 75. Berlinale im Februar 2025 zu visionieren und zu beurteilen. Zwar blieb dabei wenig Zeit für Partys, Chillen oder Bestaunen des Staraufgebotes auf dem Roten Teppich, dafür war mit den unterschiedlichen Spielorten ein Sightseeing der besonderen Art verbunden. Zwischen Zoologischem Garten, Berlin Alexanderplatz und Potsdamerplatz kam die ökumenische Jury in Genuss ganz unterschiedlicher historischer und moderner Kinosäle. 

Alle sechs Mitglieder von SIGNIS und Interfilm hatten die Filme des internationalen Wettbewerbs auf ihrem Programm. Zudem sah sich die eine Hälfte noch ausgewählte Filme aus der Sektion «Forum» an und die anderen bekamen eine Auswahl aus «Panorama».

Trotz dieser Fülle an Filmen war die Wahl der Preisträger am Schluss erstaunlich klar und einstimmig. Vom internationalen Wettbewerb zeichnete die ökumenische Jury den brasilianischen Film "O último azul" (The Blue Trail) von Gabriel Mascaro, aus, der auch der auch den Silberner Bär der internationalen Festivaljury gewann. Diese brasilianische dystopische Fabel begleitet eine Antiheldin auf ihrer Suche nach Freiheit. Die 77jänhrige Tereza (Denise Weinberg) entkommt einer Zukunft in der Seniorenkolonie mit einer mutigen Reise, die sie ins Amazonasgebiet führt. Im Stil des magischen Realismus großartig gefilmt entwickelt sich ein Abenteuer, das manche Herausforderung, aber auch unerwartete Freundschaften und immer wieder Humor bereithält. Dabei mahnt «The Blue Trail» vor Gefahren der Ausgrenzung in unseren modernen Gesellschaften, weit über das Thema von Agism hinaus und weckt Hoffnung, kreative Auswege zu finden.

Die Gruppe «Forum» prämierte zudem «Holding Liat», ein Dokumentarfilm, der sich mit dem Schicksal einer israelischen Frau befasst, die am 7. Oktober 2023 von der Hamas verschleppt wurde. Ohne den Ausgang des Geiseldramas zu kennen, begannen die Filmemacher, Brandon und Lance Kramer, eine respektvolle und konzentrierte Chronik einer Familie in Angst und Schrecken. «Holding Liat» zeigt genau das, was unsere Zeit so bitter nötig hat: die Bereitschaft, differenzierte Gespräche zu führen und Komplexitäten und Kontroversen auszuhalten, ohne die Diskussion darüber abzubrechen. 

Liat Atzili, die unterdessen freigelassene Geisel, war an der Berlinale anwesend. Vor dem 7. Oktober war für sie Friede eine mögliche Option, jetzt sieht sie keine andere Alternative dazu. Unvergesslich ihre Worte am Festival: «I am even more convinced that there is no other option for Israel and for Palestine but to reach some sort of agreement that will enable the more or less 15 million  people living between the Mediteranean Sea and the Jordan river to live together… So I think it’s time to think outside of the box».

Kein Wunder, dass dieser bemerkenswerte Film auch von der Internationalen Jury mit dem grossen Dokumenarfilmpreis ausgezeichnet wurde. 

Brigitta Rotach

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